Das Internet ist ungerecht. Trotz Netzneutralität.
Die Debatte um Netzneutralität tobt in den USA. Internetaktivisten weltweit fürchten, dass es bald eine teure Überholspur und eine besonders ausgebremste Spur für alle Inhalte gibt, die nicht von ganz großen Unternehmen kommen. Experten sind sich einig, dass die Aktivisten eine reale Gefahr sehen, die ohne gesetzlich festgeschriebene Netzneutralität wirklich kommen wird. In die hitzige Diskussion wirft die Telekom jetzt ein, dass das aktuelle Netz auch nicht neutral ist. Und sie hat damit recht.
Die Telekom argumentiert (hier der Artikel dazu), dass Inhalte momentan auch unterschiedlich schnell abrufbar sind. Wenn ein Server näher am Kunden steht, sinkt die Latenz und die Bandbreite kann leichter ausgereizt sein. Ist ein Server weit weg, stellen oft Unterseekabel oder zu schwache Knotenpunkte zwischen den Netzen verschiedener Anbieter einen Flaschenhals dar und die Inhalte kommen erheblich langsamer beim Kunden an. Konzerne wie Google oder Facebook betreiben daher hunderte von Rechenzentren, die über die ganze Welt verteilt sind, um von jedem Kunden eine kurze Verbindung zum nächsten Rechenzentrum aufbauen zu können. Kleine Unternehmen wie Startups oder gar Privatpersonen können es sich nicht leisten, den Globus mit ihren Servern zu pflastern, sodass ihre Angebote von den meisten Punkten der Erde schlechter erreichbar sind. Dadurch ergibt sich ein zwei-Klassen-Internet, obwohl die Regeln der Netzneutralität immer eingehalten sind.
Für Endkunden wirkt das Internet oft wie ein einheitliches Netz mit unbegrenzter Bandbreite, bei dem nur das Problem ist, überhaupt ausreichenden Zugang dazu zu bekommen. So homogen war das Internet aber nie und wird es vermutlich auch nie sein. Jedes Kabel hat eine begrenzte Bandbreite und erfordert Wartung. Router, die die Kabel verknüpfen, brauchen Strom und Wartung und haben ebenfalls eine begrenzte Bandbreite, die sie maximal umsetzen können. Der Betrieb dieser Infrastruktur kostet Geld und ihr Aufbau oder Ausbau noch wesentlich mehr Geld. Die Infrastruktur wird von privaten Unternehmen betrieben, die ihre Kosten über Gebühren decken müssen. Ein großer Teil der Kosten, die ein Provider stemmen muss, bezahlt dieser an andere Provider, um jeweils andere Teile des Internets für seine Endkunden zu erschließen. Wir müssen davon ausgehen, dass das Internet auf lange Zeit diese Struktur behalten wird und damit immer Investitionskosten über die entsprechenden Gebühren letztlich bis zum Endkunden weiter gereicht werden. Regulierend wirkt dabei der Markt, weil Konkurrenz (zusammen mit den bestehenden Gesetzen gegen Kartelle) die Provider unter Preisdruck setzt.
Also müssen wir uns eben darauf einstellen, dass kleine Unternehmen auch weiterhin ihre Angebote nicht ganz so schnell anbieten können wie die großen Konzerne. Wirklich kleine Anbieter, die viel Bandbreite benötigen (z.B. Video-Streaming), können dann eben nur regional konkurrenzfähig agieren. Trotz aller Beschwerden der Telekom ist aber nicht zu erwarten, dass dadurch die Innovationskraft der IT-Start-Ups nachhaltig geschädigt wird. Immerhin hat das von der Telekom beschriebene Problem seit Beginn des Internets bestanden und dennoch hat so manches Start-Up den großen Wurf landen können.
Wichtig ist, dass die aktuelle Ungleichheit nichts mit dem zu tun hat, was ein Ende der Netzneutralität gefährdet. Momentan hat niemand ein Interesse daran, bestimmte Datenpakete bewusst auszubremsen. Natürlich können Ausbaupläne verzögert und Investitionen zurück gehalten werden. Aber dank Netzneutralität geht fehlende Bandbreite zu Lasten aller Anbieter und nicht nur auf Kosten der kleinen, finanzschwachen Netzteilnehmer. Wird die Netzneutralität abgeschafft, haben aber Provider ein Interesse daran, das "normale" Internet künstlich zu verlangsamen, um den großen Konzernen das Premiumangebot leichter verkaufen zu können. Ein Argument wie "Das Internet ist jetzt auch schon ungerecht und ungleich schnell, da können wir auch die Netzneutralität ganz lassen." ist also nicht nur faktisch falsch, weil Dinge verglichen werden, die man nicht vergleichen kann, sondern auch bösartig vor dem Hintergrund, dass mit Ängsten und Frustration vieler Nutzer gespielt wird, die sich ein schnelles Netz für Alles wünschen.
Verbessern kann man die ungleichen Geschwindigkeiten im Netz übrigens über mehr Wettbewerb. Dafür kann man erstens immer ein Auge darauf haben, welche Provider welche Banbreiten anbieten und diese dann auch ausmessen. Benchmarks dafür sind leicht zu finden und kaum ein Internetnutzer hat noch nicht erlebt, dass die versprochene Bandbreite seines Anschlusses nicht bei Ihm ankam. Eine zweite Möglichkeit ist der Aufbau von Netzen unter der Kontrolle der Nutzer. Dort wird meist auf Gebühren der vielen kleinen "Provider" verzichtet und damit ein Preis deutlich unter den sonstigen Markpreisen erzeugt. Dieser Preisdruck kommt bei den kommerziell arbeitenden Providern an und wird dazu führen, dass diese ihr Angebot so ausbauen müssen, dass sie bessere Leistungen als die freien Netze bieten. In Zeiten von 4k-Streams und Downloads im GB-Bereich wird es auch weiterhin genug Kunden geben, die bereit sind für hochwertige Angebote von Providern zu zahlen. Der Aufbau freier Netze könnte aber dazu führen, dass wir gedrosseltes DSL oder 300MB Volumentarife auf dem Handy dann nicht mehr sehen müssen. Bezahlt würde dann nur für echte technologische Leistungen und nicht mehr für die Möglichkeit die eigenen E-Mails abrufen zu dürfen.
Also los! Kabel in den Vorgarten, Freifunk-Router aufs Dach! Provider-Preisvergleich anmachen und der Telekom und allen anderen Providern klar sagen: Ohne Netzneutralität geht es nicht! Statt zu jammern, baut eure Netze aus!