Das Internet ist kein "rechtsfreier Raum" - war es noch nie
Immer wieder wird von verschiedenen Stellen beteuert, dass das Internet kein rechtsfreier Raum sein dürfe. Zuletzt von Bundesinnenminister Thomas de Maizière auf dem Global Cyberspace Cooperation Summit in Berlin. Es ist die Rede davon dass es "keine eigene Welt" sein dürfe und "prinzipiell Ermittlungsverfahren unmöglich macht". Dieses Gerede ist nicht nur faktisch falsch, sondern äußerst schädlich.
Eine Zusammenfassung der zitierten Äußerungen findet sich hier. Leider wurden ähnliche Äußerungen, die natürlich genauso falsch sind, bereits von vielen Politikern in die Welt gesetzt, vor allem aus der CDU und CSU, aber auch aus den Reihen der SPD.
Zuerst zu den Fakten: Das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Eigentlich ist das Internet gar kein Raum. Es ist ein Netzwerk von Computern die von Menschen rund um die Welt benutzt und betrieben werden. Auf diesen Rechnern werden Daten gespeichert und verarbeitet, zwischen den Menschen findet Kommunikation statt. Bei den Vorgängen die mit dem Internet bewerkstelligt werden können gibt es auch solche die gegen die Gesetze verschiedener Länder verstoßen. Straftaten wie Betrug, Verleumdung, Stalking, Urheberrechtsverstöße, Spionage, illegale Pornographie und die Vernetzung krimineller Vereinigungen sind in fast allen Ländern der Erde in ähnlicher Weise strafbar. Andere Vorgänge wie die positive Darstellung von Homosexualität ist nur in wenigen Ländern strafbar (z.B. Russland, nicht jedoch Deutschland oder die USA). Da in der Antarktis, im Weltraum und in internationalen Gewässern keine Rechner stehen, die für die Struktur des Internets eine große Rolle spielen, fallen alle Vorgänge die im Internet passieren unter die Gesetzgebung eines oder manchmal sogar mehrerer Länder.
Es geht also im Kern um die Frage welche Länder ihre Gesetze bei einem Vorgang im Internet anwenden dürfen. Maßgeblich dafür ist wo der Server und wo der Client steht. Stehen beide im gleichen Land, gelten die Gesetze von dort. Stehen sie in unterschiedlichen Ländern gelten meist die Gesetze des einen Landes für den betreiber des Servers und die des anderen Landes für den Client. Generell spielt es eine Rolle wo z.B. eine Firma ihren Sitz hat und ob Verbraucherschutzgesetze gelten. Auch wenn wegen der zahlreichen internationalen Verbindungen im Internet alles rechtlich kompliziert erscheint, sind die Vorgänge in der Praxis meist nicht so komplex. Ein paar Beispiele:
- Ein Kunde kauft etwas bei einem betrügerischen Anbieter bei ebay.de: Ebay hat eine deutsche Tochter und der Kunde ist deutscher. Das Angebot muss also deutschem Recht entsprechen. Sollte der Händler aus dem Ausland stammen kann die Bundesrepublik die übliche Rechtshilfe vom Herkunftsland geltend machen.
- Ein unmoralischer Anbieter stellt Bilder von Kinderpornographie online und ein deutscher pädophiler lädt diese herunter: Der Anbieter kann in seinem Heimatland angeklagt werden. Der Pädophile ebenfalls in seinem Heimatland. Fällt die Tat nur in einem Land auf, kann die Polizei dieses Landes den Behörden des anderen Landes einen Hinweis geben.
- Bei organisiertem Verbrechen, Drogenhandel, Terrorismus, etc. kann die Polizei ebenfalls Hinweise geben und die Beteiligten können jeweils in ihrem Heimatland angeklagt werden.
Generell ist rechtlich durch die Erfindung des Internets nicht viel neues passiert. Alle genannten Straftaten waren auch per Post bereits im analogen Zeitalter möglich. Straftaten dieser Art wurden bereits vor dem Internet geahndet, werden heute geahndet und können auch in Zukunft ohne Gesetzesänderung geahndet werden. Die Herausforderung liegt lediglich darin bei Ermittlungen Grenzen zu überschreiten und mit den Behörden anderer Länder zusammen zu arbeiten.
Natürlich gibt es Vorgänge, die in einem Land Straftatan sind und in anderen Ländern nicht. Beispielsweise wird das Urheberrecht in verschiedenen teilen der Welt unterschiedlich ernst genommen. Große Unterschiede gibt es auch bei Kritik an der Regierung. Diese Unterschiede lassen natürlich Begehrlichkeiten bei den strenger regulierenden Ländern entstehen, die dann den liberaleren Ländern gerne ihre strengere Gesetzgebung aufzwingen würden. Aber ein Eingriff in die Souveränität anderer Länder ist zurecht international nicht akzeptiert. Es kann also nicht sein, dass deutsche Politiker das Recht verlangen Belize in ihre Urheberrechtsgesetzgebung hinein zu reden. Genauso würden es Deutsche nicht akzeptieren wollen sich die Gesetzgebung zur Regimekritik von China aufzwingen zu lassen. Auch wenn es bitter sein mag: Einheitliche rechtliche Standards müssen auf internationaler Ebene z.B. bei der UN verhandelt werden bzw. über bilaterale Verträge geregelt werden. Das Internet hat damit wenig zu tun.
Die Forderung mit dem angeblichen rechtsfreien Raum hat also nichts mit rechtlichen Fakten zu tun. Stattdessen ist sie ideologisch. Was nämlich eigentlich gefordert wird ist die Kontrolle über "das Internet" und dass in die Souveränität anderer Länder eingegriffen werden soll. Diese ideologie, die sich das Recht heraus nimmt andersdenkenden die eigene Meinung aufzwingen zu wollen, wird gemeinhin als "rechts" bezeichnet. Wer also vorschnell einem de Maizière recht geben will, sollte darüber nachdenken, ob es wirklich so erstrebenswert ist dessen rechte Ideologie zu vertreten. Stattdessen könnte man das Internet nämlich auch als Chance verstehen und die bestehenden Probleme bei der Strafverfogung rational angehen. Mit einer bürokratiearmen zusammenarbeit der Polizeibehörden über Grenzen hinweg könnten nämlich bestehende Rechte gerade bei straftaten über das Internet besser bekämpft werden. Auf dem gleichen Weg ließe sich übrigens auch die Aufklärungsrate bei weniger interetrelevanten internationalen Straftaten wie Steuerhinterziehung verbessern. Und wo die Gesetzeslage im Ausland ungenügend erscheint, muss eben überzeugungsarbeit geleistet werden. Gerade die beliebten Themen wie Kinderpornographie und Terrorismus lassen sich sehr gut auf Internationaler Ebene vertreten, da beides eigentlich nirgends auf der Welt toleriert wird.
Ich für meinen Teil fordere, dass die Aussagen von Politikern "kein wahrheitsfreier Raum bleiben dürfen".