Das diskutierende Netz und warum Weghören fast so wichtig wie Zuhören ist.
Ich habe in den letzten drei Wochen, wenn ich vorgeschlagen habe an etwas innovativem oder wichtigen innerhalb der Piratenpartei zu arbeiten, wiederholt die Entgegnung bekommen, dass zunächst die innerparteiliche Diskussionskultur verbessert werden müsste. Ich war zunächst überrascht und habe mich dann etwas eingehender mit der Problematik beschäftigt.
Mein erster Impuls war, dass ich von dem Einwand befremdet war. Die Piratenpartei hat mich bisher noch nie davon abgehalten an einem politischen Projekt zu arbeiten. Bei abgeschlossener Arbeit könnte es problematisch sein eine Mehrheit in der Partei zu finden, aber meist hat sich diese ohnehin ergeben, wenn man im Interesse der bestmöglichen Umsetzung des Projekts innerhalb der Partei viel Feedback eingeholt hat. Warum also sollte jemand das Bedürfnis haben zunächst die Diskussionskultur zu verändern und erst danach mit der interessanten Arbeit anzufangen?
Ich wollte zunächst wissen, ob die Klagen wirklich berechtigt waren und beobachtete meine Twitter-Timeline etwas genauer. Twitter deswegen, weil mir ausartende und unproduktive Diskussionen auf Mailinglisten längst bekannt waren und Twitter mir im Gegensatz zur Mailingliste die Möglichkeit lässt selbst zu entscheiden, wem ich folge. Ich wollte wissen, ob meine bewusst getroffene Auswahl von Piraten bei Twitter dazu geeignet ist mein Gemüt so sehr zu erregen, dass ich auf die Piraten insgesamt "keinen Bock" behommen könnte.
Neben den informativen und motivierenden Tweets die ich generell genieße und der relativ großen menge an irrelevanter Trivialität sind mir auch einige Tweets aufgefallen, die tatsächlich bewusst provozierend formuliert waren und mir in ihrer Unsachlichkeit störend aufgefallen sind. Ein merkmal dieser Tweets war, dass die selben Leute oft kurz darauf in weiteren Tweets Leute erwähnt haben, die auf die ursprünglichen Tweets geantwortet hatten. Die gleichen Twitterer schienen auch sonst gerne auf Tweets zu antworten, um wehement zu widersprechen, zu polarisieren oder in der direkten Ansprache zu provozieren. Thematisch ging es dabei meist um Rechts-Links-Flügelkämpfe, was mich sonst nicht so interessiert, weshalb ich die Tweets bisher oft übersehen hatte. Bei der genaueren Betrachtung dieser öffentlich geführten Streits konnte ich an mir selbst beobachten, wie ich tatsächlich eine ablehnende Haltung gegenüber den Piraten allgemein annahm, weil ich die Streithähne zur Gruppe der Piraten zählte.
Meine Beobachtung ist also, dass man sich durch eine schlechte Diskussionskultur durchaus demotivieren lassen kann. Allerdings ist das nicht zwingend notwendig. Ich habe bei Twitter die Möglichkeit unsachlichen Diskutanten einfach nicht mehr zu folgen und so meine Nerven zu schonen. Genau das habe ich heute auch getan: Den zwei unsachlichsten und unkonstruktivsten Streithähnen folge ich seit heute nicht mehr. Interessant ist, dass einer davon ziemlich bekannt ist und viele Follower hat. Das bedeutet nämlich, dass sich ganz viele Piraten demotivierende Tweets aus diesem Account antun und sich folglich demotivieren lassen.
Ein paar Gedanken zur Diskussionskultur
Das Internet ermöglicht es uns mit einer unfassbar großen Menge an Personen rund um den Globus zu kommunizieren. Es ist nicht wie ein Stammtisch in einer Kneipe, wo nur die miteinander reden, die gerade da sind. Im Internet kann im prinzip jeder mit jedem reden. Wir treffen automatisch eine Auswahl und wie wir diese Auswahl treffen hat großen Einfluss darauf, wie unsere digitalen Gespräche aussehen und was sie bei uns auslösen. Wenn wir feststellen, dass an einer Stelle demotivierend oder auch nur unproduktiv kommuniziert wird, können wir uns leicht entziehen und stattdessen mit anderen Bewohnern des globalen Dorfs reden. Da jeder das kann, ist es auch kein Akt der Zivilcourage in eine schlechte Kommunikation einzischreiten. Wer ziel von Angriffen wird, kann ganz leicht die Verbindung kappen und mit Recht sagen: "Das muss ich mir nicht antun."
Der "Unfollow" Knopf bei Twitter ist eine Möglichkeit. Das Abbestellen einer Mailingliste ist eine andere Möglichkeit, um schlechter Kommunikation innerhalb der Piraten zu entkommen. Und es ist keine Feigheit von diesen Möglichkeiten gebrauch zu machen, weil sie unsere Motivation und unsere Nerven schonen. Wichtig für die Piraten ist, dass gute politische Arbeit gemacht wird. Dafür muss man keine Mailingliste lesen. Persönliche treffen sind sehr produktiv und virtuelle Mumble-Treffen mit Pad sind ähnlich gut. Manchmal hilft es auch, die Idee ganz alleine aufzuschreiben und dann den Text zu verschicken. In Rheinland-Pfalz haben wir mit Findeco ein Tool, das gemeinsame inhaltliche Arbeit praktisch ohne Trolle ermöglicht. Unfollow und Abbestellen lasen uns mehr Raum für diese effektiven Mittel der Kommunikation.
Mein Tipp ist nicht die gane Twitter-Timeline zu entvölkern. Aber ein bewusstes Loswerden von den Leuten, die einen runterziehen kann auch etwas befreiendes haben. Mir liegt es nicht nur daran dass die politische Arbeit für die Piraten voran kommt, sondern auch dass sie Spaß macht. Glücklicherweise macht es Spaß gemeinsam einen guten Antrag zu erstellen oder eine piratige Aktion zu planen. Wir können diese Freuden aber oft nicht genießen, weil uns etwas negatives auf die Stimmung schlägt. Das bewusste Weghören schützt uns vor diesen negativen Elementen der Kommunikation. Und wer weiß, vielleicht hört der ein oder andere Schreihals, Miesepeter, Streithahn oder Troll auch einfach auf, wenn er kein Publikum mehr findet.